Nach 24 Jahren ist es wieder so weit: In Deutschland wird eine Volkszählung durchgeführt. Wenn man die Berichterstattung der Medien innerhalb der letzten Tage aufmerksam verfolgt hat, wird man schon vermehrt auf den Zensus 2011 gestoßen sein, der ersten gemeinsamen Volkszählung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die zukünftig alle zehn Jahre durchgeführt werden soll.
Ab dem morgigen Montag, dem sogenannten Erhebungsstichtag, werden etwa 10% der Bevölkerung von zigtausenden Erhebungsbeauftragten bzw. Interviewern für den Zensus 2011 befragt. Diese Volkszähler erhalten pro Befragung eine Provision, die höher ausfällt, sofern man mit ihnen zusammen das Formular ausfüllt. Darum werden manche den ein oder anderen Bürger sicherlich dazu drängen die Angaben sofort zu machen. Aus Gründen des nicht gewährleisteten Datenschutzes ist jedoch davon tunlichst abzuraten. Man sollte sich außerdem bewusst sein, dass die NPD Anfang des Jahres ihre Mitglieder und Anhänger dazu aufgerufen hat, sich als Volkszähler zu melden, um mehr über „politische Stimmungen im Lande“ zu erfahren und linke Gruppierungen ausforschen zu können. Deshalb sollte man den Fragebogen auf jeden Fall ohne Anwesenheit des Interviewers ausfüllen – sofern man ihn nicht sowieso boykottiert – und anschließend an die passende Erhebungsstelle schicken.
Auch wenn man selbst keinen Fragebogen erhalten hat, ist es äußerst wahrscheinlich, dass man über die Gebäude- und Wohnungszählung erfasst wird. Dazu erhielten bereits 17,5 Millionen Wohnungs- oder Gebäudeeigentümer spezielle Formulare zugesandt, über die unter anderem auch ausführliche Informationen über Mieter gesammelt werden.
Oder man ist der Bewohner eines sogenannten sensiblen oder nicht-sensiblen Sonderbereichs. Nicht-sensible Sonderbereiche sind zum Beispiel Studentenwohnheime, Internate, Schwesternwohnheime oder Klöster. Unter sensible Sonderbereiche fallen hingegen Justizvollzugsanstalten, Krankenhäuser, psychiatrischen Kliniken, Behindertenwohnheime, Erziehungswohnheime oder Flüchtlingsunterkünfte. Hier werden die Bewohner ebenfalls nicht persönlich befragt, sondern nur über die Befragung informiert. Die jeweiligen Angaben werden von der Leitung der Einrichtung gemacht.
Der Zensus 2011 wird als registergestützt bezeichnet. Dies bedeutet, dass – ohne Mitwissen des Einzelnen – Daten der Meldeämter, der Bundesagentur für Arbeit und diverser anderer Ämter und Ministerien zusammengeführt werden. Die oben genannten Zählungen sind deshalb als Ergänzung zu dieser registergestützten Zählmethode zu sehen. Dass hier ohne sofortige Anonymisierung oder Pseudonymisierung der Daten gearbeitet wird, findet auch unser Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bedenklich.
Wir Piraten kritisieren übrigens nicht den Zensus im Allgemeinen – ohne Volkszählungen werden die Bevölkerungsdaten mit der Zeit immer ungenauer – sondern in erster Linie die Menge der anzugebenden Daten, die teilweise gar nicht von der EU gefordert werden. Die Fragen nach Migrationshintergrund und Gläubigkeit, z. B. mit speziellen Untergliederung des Islams in schiitisch, sunnitisch und alevistisch, haben einen leicht fahlen Beigeschmack. Die Frage nach der Religion ist zwar die einzig freiwillige, aber sofern diese häufig genug beantwortet wird, könnte man damit problemlos etwa eine Liste aller bekennenden Schiiten erstellen.
Diese vielen, unanonymisierten Daten wecken Begehrlichkeiten und enthalten ein enormes Missbrauchspotenzial. Denn sie sind um ein Vielfaches wertvoller, als beispielsweise Datensätze, die Wirtschaftsunternehmen ansammeln. Und wie man weiß finden diese wahrlich nicht selten den Weg ins Internet – man erinnere sich an die vermutlich weit mehr als 77 Millionen Kundendatensätze aus dem Playstation Network, die Sony kürzlich entwendet wurden. Dass das Statistische Bundesamt über die Sicherheitsvorkehrungen keine Auskunft gibt, wirkt selbstredend nicht gerade beruhigend. Erst dieses Wochenende wurde bekannt, dass für die Online-Datenübertragung keine verschlüsselte Verbindung – wie sie beispielsweise beim Online-Banking üblich ist – eingesetzt wird. Aus der Vergangenheit weiß man, dass diese security by obscurity-Politik meist darauf zurückzuführen ist, dass die Sicherheitssysteme einer kritischen Hinterfragung nicht Stand halten würden.
Darüber hinaus lehnen wir den Zwang unter Bußgeldandrohung alle Daten anzugeben ab. Dies läuft vor allem dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zuwider, welches am 15. Dezember 1983 vom Bundesverfassungsgericht formuliert wurde (Volkszählungsurteil) und sich aus der Menschenwürde (Artikel 1 Grundgesetz) und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz) ableitet (siehe Grundgesetz – I. Die Grundrechte).
Wer weitere oder detailliertere Informationen, Termine zu bevorstehenden Aktionen und Informationsveranstaltungen oder Hilfe für betroffene Bürger sucht, ist beim Arbeitskreis Zensus (Twitter: @zensus11) hervorragend aufgehoben.
Eine schöne Übersicht über die Probleme und Gefahren findet man im Artikel „Volkszählung 2011 leistet Vorschub für Datenmissbrauch“ des AK Zensus.